„Ein politischer und gesellschaftlicher Auftrag“

 

Mit Dr. Frederik Giessing, Geschäftsführer 450connect

Dr. Frederik Giessing ist Geschäftsführer der 450connect, die 2021 den finalen Zuschlag der Bundesnetzagentur für die 450MHz-Frequenzen bekommen hat. Seither beschäftigt sich sein Unternehmen mit dem Aufbau des autarken Kommunikationsnetzes für kritische Infrastrukturen. Dabei geht es Schlag auf Schlag. 2023 soll LTE450 bereits in den ersten Regionen verfügbar sein, 2025 dann flächendeckend in ganz Deutschland. Trotz der engen Taktung bleibt zwischendurch noch ein Moment für die Digi-Talks. Also gehen wir gleich in medias res.

 

Herr Dr. Giessing, welche Vorteile wird LTE450 gegenüber anderen Mobilfunknetzen haben?

„LTE450 ist nicht einfach noch ein weiteres Kommunikationsnetz. Wir sprechen hier von einem autarken Netz für einen bestimmten, klar definierten Nutzerkreis. Als sichere und zuverlässige Kommunikationsplattform für die Betreiber kritischer Infrastrukturen wird LTE450 eine einzigartige räumliche und systemische Verfügbarkeit bieten – auch da, wo öffentliche Netze an ihre Grenzen stoßen oder bislang überhaupt keine Mobilfunkabdeckung besteht. Die Anbindung der zentralen Richtfunkstandorte erfolgt über eine dedizierte Glasfaserinfrastruktur. Durch die bis zu 72-stündige Notstromversorgung über die gesamte Infrastruktur ist zudem die Kommunikation im Schwarzfall gewährleistet.“

„Hinzu kommen die physikalischen Eigenschaften der 450MHz-Frequenz. Sie zeichnet sich durch eine hohe Durchdringung von Gebäuden und große Reichweiten aus. Dadurch eignet sie sich gleichermaßen für die Kommunikation mit Smart Meter Gateways und anderen intelligenten Devices im urbanen Raum wie für die  Anbindung dezentraler Anlagen auf dem Land.“

 

In welchen Szenarien könnten diese Eigenschaften zum Tragen kommen?

„Die Energiewende ist sicher einer der wichtigsten Treiber. Über LTE450 lässt sich die notwendige Kommunikationsinfrastruktur für einen sicheren und stabilen Netzbetrieb realisieren – dies ist faktisch über Mobilfunk oder kabelgebundene Lösungen wirtschaftlich und auch technisch nicht darstellbar.

„Im Mittel- und Niederspannungsnetz gibt es einen enormen Nachholbedarf, was die Kommunikationsinfrastruktur angeht – Stichwort Redispatch 2.0. Dabei werden die Betreiber von Verteilnetzen in die Pflicht genommen, einen Beitrag zur Netzstabilität zu leisten, indem auch kleinere Erzeugungsanlagen und Speicher integriert werden müssen. Das wiederum geht nicht ohne eine intelligente, netzdienliche, hoch verfügbare und perspektivisch auch automatisierte Steuerung, die Einspeisung und Nachfrage im Gleichgewicht hält.“

„Extrem komplexe Prozesse wie das Wiederhochfahren nach dem Schwarzfall sind ohne funktionierendes Kommunikationsnetz künftig gar nicht mehr abbildbar – insbesondere, wenn immer kleinere Erzeugungsanlagen einbezogen werden müssen“.“

„Schließlich werden Großkraftwerke im Hinblick auf den geplanten Ausstieg aus der Kernkraft sowie aus der Kohleverstromung in absehbarer Zeit nicht mehr zur Verfügung stehen. Anders formuliert: Wir brauchen dedizierte Netze, um die Energiewende möglich zu machen und die Versorgung sicherzustellen. Die Energiewirtschaft ist für LTE450 daher zwar nicht der einzige Bedarfsträger, aber mit Abstand der größte.“

 

Hinter der 450connect stehen mehr als 70 Energieversorgungsunternehmen, unter anderem die Alliander, E.ON, ein Konsortium regionaler Energieversorger sowie die Versorger-Allianz 450, zu der zahlreiche Stadtwerke, Energie- und Wasserversorger unter Beteiligung der EnBW-Tochter Netze BW gehören. Die Gruppe repräsentiert die gesamte Breite der Branche. Allerdings wird LTE450 dabei diskriminierungsfrei allen Betreibern kritischer Infrastrukturen zugänglich sein.

 

Welche Treiber neben der Energiewende sehen Sie noch, warum ist ein hochverfügbares Kommunikationsnetz so wichtig, auch für andere Branchen und Sektoren?

„Großschadenereignisse wie die Flutkatastrophe an der Ahr haben uns eindrücklich vor Augen geführt, wie verletzlich unsere Telekommunikationsinfrastruktur gerade dann sein kann, wenn wir sie am dringendsten benötigen. Kommunikation ist essentiell, um Krisen zu managen. Der Klimawandel lässt befürchten, dass Frequenz und Schwere dieser Ereignisse eher zunehmen werden. Aber auch geopolitische Risiken und Cyber-Attacken sind eine reale Bedrohung und unterstreichen die Relevanz eines dedizierten Netzes für alle kritischen Infrastrukturen. Als unlängst Hacker einen Satelliten lahmlegten, war die Echtzeitkontrolle von hunderten Windkraftanlagen blockiert – und das für einen signifikanten Zeitraum, weil die Fernwirktechnik komplett neu aufgebaut werden musste.“

 

Dann hoffen wir, dass Sie das Timing für den Netz-Rollout halten können. Gibt es Stand heute noch technische oder andere Hürden zu überwinden, bevor LTE450 dann bis 2025 bundesweit in Betrieb geht?

„LTE450 an sich ist erst einmal keine Rocket-Science. Schließlich setzen wir auf etablierten, standardisierten Mobilfunktechnologien auf, die Hard- und Software ist vorhanden ebenso die notwendigen Kommunikationsmodule. Mittlerweile gibt es auch eine deutlich wachsende Anzahl an Herstellern von Endgeräten. Aber wie immer haben komplexe Infrastrukturprojekte auch ihre Herausforderungen – aber in allem liegen wir gut im Zeitplan, um in 2023 in den ersten Regionen LTE450 anbieten und den Netzrollout bis zum Jahr 2025 bundesweit erfolgreich realisieren zu können.“