Fachartikel Zukunftssichere Anbindung dezentraler Anlagen für den Wirkbetrieb
Die wirktechnische Anbindung dezentraler Anlagen über Mobilfunk ist eine notwendige, aber auch komplexe Aufgabe, vor allem bei kritischen Infrastrukturen in der Energie- und Wasserversorgung. Für eine nachhaltige Lösung sind offene Standards und Schnittstellen eine Grundvoraussetzung. Sie ermöglichen eine spätere Migration auf kommende Übertragungstechnologien und die Integration künftiger fernwirktechnischer Anwendungen in intelligenten Netzen. Daher sind Architektur und Hardware gleichermaßen entscheidend für die Zukunftssicherheit des Systems.
Betreiber dezentraler Energieerzeugungsanlagen müssen für die Aufrechterhaltung der Netzstabilität die Voraussetzungen für eine fernwirktechnische Anbindung an die IT des Netzbetreibers schaffen. Je volatiler die Einspeisung desto größer die Notwendigkeit , Anlagen bedarfsgerecht schalten respektive vom Netz nehmen zu können. Vor dem Hintergrund des Smart Grids mit nochmals höheren Ansprüchen hinsichtlich Responsivität und Bandbreite sind migrationsfähige Konzepte gefragt. Diese sollten mit der technologischen Entwicklung, den künftigen Anforderungen und Möglichkeiten mitwachsen können, um den Wert der Assets zu erhalten und nicht in eine technologische Sackgasse zu geraten. Vor allem in der Energiewirtschaft besteht, bedingt durch die ständige Zunahme der erneuerbaren Energien, eine besondere Sensibilität für eine sichere und stabile Kommunikationstechnologie für ein zuverlässiges Fernwirken. Die Problemstellung an sich ist grundsätzlich auf alle dezentralen, steuerbaren Anlagen übertragbar. Auch Klärwerke und Hebeanalgen beispielsweise müssen in die Zentralsysteme integriert werden, um die Versorgungssicherheit zu gewährleisten. In allen Anwendungen spielt die Übertragungstechnologie eine Schlüsselrolle.
Robuste Technik
Gerade bei abgelegenen Stationen besteht vielfach die Herausforderung darin, das keine Anbindung über eigene Steuerleitungen vorhanden oder die Erschließung mit hohen Kosten verbunden ist. Es bleiben die öffentlichen Mobilfunknetze, die für die Übertragung genutzt werden können. Da es sich, vor allem bei kritischen Infrastrukturen, um sensible Daten handelt, ist dabei ein Höchstmaß an Sicherheit nach den Vorgaben des Bundesamts für Sicherheit in der Informationstechnik (BSI) zu gewährleisten. Die Daten aus den lokalen Steuerungen werden über serielle oder Ethernet-Schnittstellen und LTE-Router via Mobilfunk an die Leitstelle übertragen. Für den professionellen Einsatz entwickelte industrielle Router wie der DSR-211-L von Digicomm können auch unter extremen Bedingungen und in Temperaturbereichen zwischen –40 °C und 75 °C sowie mit Spannungen von DC 9 V bis 60 V eingesetzt werden. So findet der Router Anwendung bei der Überwachung von Wasser-, Gas-, Stromnetzen, bei der sicheren Übertragung von Daten aus Geldautomaten oder industriellen Maschinen, Anlagen und Geräten. Hardware und Architektur sind also relativ einfach und robust, sodass an den dezentralen Anlagen keine aufwendigen Service- und Wartungsarbeiten anfallen.
Die Wahl der richtigen Übertragungstechnologie
Die Wahl der Übertragungstechnologie hängt von den Anforderungen an Bandbreite, Übertragungsintervalle und-geschwindigkeit ab. Dabei ist es sinnvoll, sich am höchsten verfügbaren Standard zu orientieren, was in vielen Fällen LTE ist. Jedoch sollte auf die Abwärtskompatibilität des Routers geachtet werden. Kann für begrenzte Zeit kein LTE genutzt werden, gewähren Fallback-Datendienste wie UMTS, GPRS und Edge in 3G-/GSM-Netzen die Verfügbarkeit, wenn die Hardware das zulässt. Eine zweite SIM-Card oder im Idealfall nationales Roaming geben zusätzliche Sicherheit. Über einen Health Check sollte die Verbindungsqualität im laufenden Betrieb permanent überwacht und gegebenenfalls der Provider automatisiert gewechselt werden können. Da auch solche Funktionalitäten im Router angelegt sein müssen, kommt diesem Stück Hardware eine zentrale Rolle in der Architektur zu. Umgekehrt ist die Aufwärtskompatibilität zu beachten. Grundsätzlich unterliegen Übertragungsstandards kürzeren Entwicklungszyklen als SPS, Zähler und andere Komponenten. Ein Umstieg sollte durch variable Kommunikationsmodule möglich sein. So ist das auf LTE basierende und eigens zur Digitalisierung der deutschen Energie- und Wasserwirtschaft entwickelte 450-MHz-Funknetz besonders sicher und schwarzfallfest, aktuell aber noch nicht flächendeckend verfügbar. Eine Migration bei Verfügbarkeit ist zu empfehlen.
Zukünftigen Bedarf einplanen
Jedes Integrationsprojekt startet typischerweise mit einer Ist-Analyse. Welche Daten können/sollen übertragen werden, welche Funktionen will ich abbilden, welche Sicherheitslevels und SLA sollen eingehalten werden? Dem Integrator sollte aber bewusst sein, dass es sich dabei nur um eine Momentaufnahme handelt. Digicomm realisiert seit drei Jahrzehnten europaweit Fernwirk-Kommunikationslösungen für EVU, Netzbetreiber, Wasserversorger, Verkehrsbetriebe und die Industrie. Die Erfahrung zeigt: Die individuellen Lastenhefte werden immer weiter fortgeschrieben. Man kann davon ausgehen, dass die Fernwirkung ihre Potenziale längst noch nicht ausgespielt hat und sich die internen und externen Anforderungsprofile dynamisch entwickeln werden– durch strengere Regulierung, Markterfordernisse oder durch neue Möglichkeiten, die sich erst im Laufe der Zeit ergeben. Bedarfe ändern sich, wenn eine Infrastruktur einmal steht. Während der Fokus aktuell auf eher einfachen Monitoring, Alarming sowie Auf- und Abschaltungen liegt, sind komplexere Schaltaufgaben bereits in greifbarer Nähe. Auch hier spielt der Router eine Schlüsselrolle. Er muss heute über die nötigen Schnittstellen für eine spätere Integration in eine Systemumgebung verfügen, die unter Umständen heute noch gar nicht definiert ist. Ähnliches gilt im Bereich der Security. Standards ändern sich, was heute noch BSI-konform und sicher ist, kann morgen schon eine gefährliche Lücke darstellen. Die Technologie sollte auch hier eine Migration zulassen. HTTPS-Verschlüsselung und VPN-Anbindung (in öffentlichen Netzen) sind ein Muss, Zugriffskontrolle und die Zuweisung individueller Nutzerrechte in vielen Fällen sinnvoll.
Praxisbeispiel Pegelstände
Auch in heterogenen Infrastrukturen lässt sich eine homogene Datenbasis für die Fernwirkung erzielen, wenn unter schiedliche Technologien und Infrastrukturen in einem Netzwerk vereint werden. So begleitet Digicomm die Emschergenossenschaft beim Aufbau eines Netzes zur Übertragung von Pegel- und Wasserzählerständen oder der Wassertemperatur an die Leitstelle. Das Ziel ist ein Fernwirksystem, das unter Berücksichtigung aktueller Gesetze, Regelungen und Normen die Kommunikationswege ohne Ausfälle sicherheitskonform garantiert. Die Anbindung der einzelnen Außenstationen erfolgt über vorhandene Kupferinfrastruktur, Glasfaser und Mobilfunk.
Die Integration der unterschiedlichen Medien in einem Netzwerk ermöglichen flexible industrielle Switches und SHDSL-Modems. Zur individuellen Anpassung an das Netzwerk können beliebige SFP-Module eingesetzt werden und gewährleisten so ein breites Einsatzgebiet. Bei den Außenstationen ohne Kabelanbindung, werden LTE-VPN Router DSR eingesetzt. Redundant ausgelegte Open-VPN Security-Server übernehmen als zentrale VPN-Gateways die Verwaltung der Verbindungen und die Steuerung der Zugriffe auf die Außenstationen. Durch die integriert „Dual-SIM“-Funktion wird eine ausfallsichere Verbindung gewährleistet. Die ersten Vorbereitungen für dieses Projekt liegen mittlerweile einige Jahre zurück. Ein Beispiel von vielen, das zeigt, dass Vernetzungsprojekte langfristig angelegte Vorhaben sind. In deren Verlauf können sich viele Variablen –Kommunikationstechnologie, Sicherheitsstandards, Anforderungen – ändern. Daher ist es wichtig, die Technik und die Systemarchitektur so offen und flexibel wie möglich zu gestalten.
Autor: Jörg Brunk
Der Artikel zum Download: Zukunftssichere Anbindung